Die Zukunft des Autos? Experten diskutieren die Herausforderungen
Wie bewegen wir uns in Zukunft von A nach B? Per E-Auto, Carsharing, Abo-Dienst oder ohne Auto? Für Professor Thomas Sauter-Servaes und Astara Move-Director Vincent Jarno ist klar: Unsere Mobilität verändert sich – aber es wird keine Lösung geben, die für alle passt.
Vincent Jarno (l.) und Thomas Sauter-Servaes im angeregten Gespräch auf dem Gelände der ZHAW in Winterthur.
Bösewicht, Spassmobil, Innovationstreiber – das Auto bedeutet für jeden und jede etwas anderes. Welche Rolle spielt es für Sie beide persönlich?
Vincent Jarno: Ich habe 15 Jahre lang in der Automobilbranche gearbeitet. Für mich ist das Auto ein Spassmobil, mit dem ich auch beruflich zu tun habe. Autos sind immer mit Emotionen verbunden, das macht sie so spannend.
Thomas Sauter-Servaes: Ich bin von Haus aus Maschineningenieur. Die Technik dahinter hat mich immer fasziniert. Ein einzelnes Fahrzeug ist auch für niemanden ein Problem. Bei einigen Millionen sieht es aber anders aus. Früher war das Auto der grosse Problemlöser. Heute ist es das Problem. Für mich stellt sich die Frage: Kann es wieder Teil der Lösung werden? Kriegen wir eine neue Mobilitätskultur hin? Und zwar eine, die für alle stimmt, nicht zuletzt unsere Umwelt.
Zu den Personen Vincent Jarno (43) Vincent Jarno ist Director Astara Move bei Astara Central Europe und seit 15 Jahren in der Automobilindustrie (u.a. Citroën) tätig. Er hat verschiedene nationale und internationale Funktionen in den Bereichen General Management, Vertriebsstrategie, Geschäftsentwicklung und Finanzrisikoanalyse ausgeübt. Vincent Jarno verantwortet den Aufbau des Auto-Abo-Angebots Astara Move in der Schweiz.
Prof. Dr.-Ing. Thomas Sauter-Servaes (50) Nach Stationen als Projektleiter für die DB Fernverkehr AG und Mobilitätszukunftsforscher am Institut für Transportation Design leitet Thomas Sauter-Servaes seit 2013 an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften den Ingenieurstudiengang Mobility Science. Gleichzeitig forscht er an der ZHAW School of Engineering mit dem Fokus auf innovative Mobilitätsangebote und ist Inhaber des Beratungsbüros mobilecular.
Also ist das Auto doch der Bösewicht?
Sauter-Servaes: Es gibt zwei Lager – für die einen ist das Auto der Bösewicht, für die anderen ein Heiligtum. Ich würde mir wünschen, dass beide Seiten zueinander finden. Klar ist: Das fossilgetriebene Auto der heutigen Zeit werden wir uns in Zukunft nicht mehr leisten können. Aber weil wir eine sehr enge emotionale Bindung zum Auto haben, ist dieser Wandel nicht einfach. Man muss den Leuten etwas Emotionales bieten, um sie für eine neue Mobilitätskultur zu begeistern. Da ist auch die Industrie gefordert.
Jarno: In der Schweiz fahren die Menschen gern schöne Autos. Trotzdem zeigen Befragungen, dass viele nicht mehr bereit sind, so viel Geld für ein Auto auszugeben. Das unterstreicht, dass das Auto als Statussymbol nicht mehr den gleichen Stellenwert besitzt. Das wiederum öffnet Türen für neue Mobilitätsformen wie Carsharing oder Abo-Dienste.
Welche Rolle spielt dabei der Umweltgedanke?
Jarno: Eine grosse, aber nicht um jeden Preis. Die meisten Leute sind bereit, auf ein E-Auto umzusteigen – aber nicht, wenn sie dafür 30 oder 40 Prozent mehr bezahlen müssen. In dieser Beziehung sind wir noch nicht dort, wo wir gerne sein würden. Für die Umwelt ist es aber unerlässlich, dass wir alle Leute ins Boot holen.
Sauter-Servaes: Wir unterschätzen, in welcher Geschwindigkeit wir diesen Wandel brauchen. Alle Sektoren von Energie- bis Landwirtschaft haben in der Schweiz ihre Emissionen heruntergefahren. Nur der Verkehr schafft das nicht. Wir sind der böse Bube auf dem grünen Pfad. (lacht) Dafür gibt es viele Gründe; Routine oder Geld, um nur zwei zu nennen. Aber am E-Auto führt kein Weg vorbei. Regulierungen werden dafür sorgen, dass dieser Wandel schneller kommt, als sich das viele heute vorstellen. Denn die neuen Zeiten werden kommen. Und wer sich heute entscheidet, vorwärts und lösungsorientiert zu denken, wird zu den Gewinnern gehören.
Sind Abo-Lösungen oder Carsharing-Modelle der richtige Weg?
Jarno: Es ist sicher ein Weg. Die Händler müssen an neuen Verkaufs- und Umsatzlösungen interessiert sein. Abo-Dienste bieten das. Man kann zudem nicht alles Bisherige einfach so über den Haufen werfen. Die Automobilindustrie ist für die Wirtschaft wichtig, viele Jobs und Firmen hängen an ihr. Wir müssen Wege finden, damit diese Industrie überlebt und sich wandeln kann.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihrem Abo-Angebot Astara Move gemacht?
Jarno: Die einen sind skeptisch, andere erkennen die neuen Möglichkeiten. Aktuell ist es noch ein kleiner Markt. Aber wir merken, dass sich die Leute generell mehr Flexibilität wünschen. Zudem sind Auto-Abos auch finanziell attraktiv. Mieten statt kaufen lohnt sich. Die Ausgaben für ein privates Auto werden stark unterschätzt, wie auch eine Studie von Astara zeigt.
Sauter-Servaes: Die Skepsis finde ich berechtigt. Viele grosse Unternehmen haben es versucht, viele haben die Übung abgebrochen. Man darf aber nicht vergessen: Auch das Elektroauto hat einige Anläufe benötigt. Erst als Elon Musk kam, hat sich alles verändert. Beim Sharing wird es ähnlich sein. Warum soll es denn beim ersten Versuch gleich klappen müssen? (Box) Auto und mehr – Mobilität heute und morgen Wir streamen unsere Musik und Filme. Wir legen verstärkt Wert auf Flexibilität und individuelle Lösungen und gleichzeitig kaufen wir unser Auto, wie es schon immer der Fall war. Dabei gibt es Alternativen: Leasing, Carsharing, Abo-Services. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Aber was davon ist eine gute Lösung? Was macht Sinn für die eigene Lebenssituation?
Im Schweizer Mobilitätsbarometer, entstanden in der Zusammenarbeit zwischen Astara und dem Forschungsinstitut Sotomo, werden daher die Alternativen betrachtet und deren Potenzial eruiert. In diesem Zusammenhang wird auch das Verhalten der Schweizerinnen und Schweizer im Bereich Mobilität näher untersucht, mit Fokus auf das Autofahren und den Autobesitz. In den kommenden Wochen werden verschiedene Aspekte dieser Studie in Experten-Interviews vertieft.
Möchtest du mehr über die Studie erfahren? Dann hast du jetzt die Möglichkeit, die ganze Studie herunterzuladen:
Was spricht für Sharing- oder Abo-Modelle?
Sauter-Servaes: Vor allem die Flexibilität. Unsere Leben werden immer flexibler, da muss sich die Mobilität anpassen. Das spielt Abo-Diensten in die Karten. Beim Sharing geht es noch weiter: Wir werden in Zukunft in den Städten gar keinen Platz mehr haben für so viele Autos. Dort brauchen wir mehr Grünflächen, mehr Velowege und weniger PS. Der andere grosse Treiber ist die Digitalisierung: Je bequemer solche Modelle werden, desto stärker werden sie sich durchsetzen. Mir kann keiner erzählen, dass wir nicht bald einen ChatGPT-Dienst für Mobilität nutzen. Ich glaube: Sharing wird so entspannt, dass es sich durchsetzen wird.
Jarno: Einverstanden, das wird kommen. Wichtig ist auch: Es gibt nicht nur eine Lösung, sondern viele. Verschiedene Modelle, was die Leihe von Autos angeht – aber auch verschiedene Mobilitätsformen, die miteinander kombiniert werden: Autos, Bikes, Scooter, ÖV und so weiter. Die Digitalisierung wird eine neue und flexible Mobilität ermöglichen.
Wie wichtig sind Regulierungen, um den Wandel voranzutreiben?
Sauter-Servaes: Ich hoffe, Politik und Industrie können sich auf eine gemeinsame Vision einigen. Dann ist da noch die Bevölkerung – also wir –, die sich von alten Gewohnheiten lösen muss. Glauben Sie mir: Niemand will in einer Plus-5-Grad-Welt leben. Aber Mobilitätroutinen waren und sind etwas enorm Stabiles. E-Mobilität muss zu seinem Convenience-Produkt werden. Sonst wird sie sich nicht durchsetzen.
Gilt das auch für das Land? Dort sieht die Realität für viele Menschen anders aus.
Jarno: Wie gesagt – es gibt keine Lösung für alle. Vielleicht müssen wir für die Menschen auf dem Land andere Ansätze finden. Natürlich ist es in der Stadt einfacher, ein Auto bei einem Abo-Dienst abzuholen. Auf dem Land müsste man eher mit einem Liefer-Service arbeiten, der den Leuten das Auto nach Hause bringt. Wir haben in Spanien damit Erfahrungen gemacht: Die Leute sind interessiert daran, aber es ist letztlich eine Preisfrage.
Sauter-Servaes: Das Land ist die Hochburg des fossilbetriebenen Autos. Da wird es noch etwas dauern, bis sich alternative Mobilitätsformen so durchsetzen wie in den Städten. Aber wenn die Leute auf dem Land ihr E-Auto mit Solarenergie vom Dach laden können und als Stromspeicher nutzen, geht das in die richtige Richtung. Mit Sharing wird’s schwierig, da fehlt schlicht die Dichte. Aber wenn wir die Städte mitnehmen, ist schon viel erreicht.
Bietet die Schweiz spezielle Herausforderungen, um neue Lösungen wie Auto-Abos einzuführen?
Jarno: Die Schweiz ist immer speziell. (lacht) Hier ist es der Kundschaft zum Beispiel wichtig, dass ein Leihauto ihr kantonales Nummernschild hat. Das war in Spanien nie ein Thema. Generell aber ist die Schweiz ein gutes Pflaster für Innovationen.
Sauter-Servaes: Das sehe ich genauso. Letztendlich haben wir hier ein enormes Wohlstandniveau. Und wer soll den Wandel vorantreiben, wenn nicht die Leute, die das Geld dafür haben? Ich bin überzeugt: Mit guten und zeitgemässen Angeboten kann man die Schweizerinnen und Schweizer für Wege in eine nachhaltige Zukunft begeistern.
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